Intervention
,Endlich' kann die ,richtige' Arbeit beginnen, mag man denken. Wenn Mitarbeiter Anamnese und Diagnose straffen, weil sie es nicht abwarten können ,endlich anzufangen' oder Träger und Sozialverwaltung glauben, hier Geld sparen zu können, dann kann das den gesamten Hilfeprozess erschweren und den Erfolg kosten: Beginnt die Intervention, ohne dass
- das zur Zusammenarbeit notwendige Vertrauen hergestellt ist,
- man sich auf Verfahren geeinigt hat, wie man das gegenseitige Verstehen sicherstellen will,
- letzte Unklarheiten über die Ziele beseitigt sind, die gemeinsam verfolgt werden sollen,
- man alle relevanten Akteure identifiziert hat,
- man das Ressourcenspektrum der Person und seines sozialen Umfeldes abschließend erfasst hat,
- (...)
werden sich die schnellen Einspareffekte schnell aufbrauchen und in hohen Reibungsverlusten niederschlagen. Andersrum formuliert, heißt es, je genauer Anamnese und Diagnose sind, desto effizienter und erfolgreicher kann die Intervention durchgeführt werden. Zunächst will ich zur Orientierung wieder die Arbeitsregeln Müllers voranstellen (1994: 114ff):
Sozialpädagogische Eingriffe:
1. Eingreifendes Handeln (Machtgebrauch) kann unvermeidlich und notwendig sein, muss sich aber an strengen Kriterien messen lassen.
2. Eingriffe dürfen vorhandenes Potential der Selbstbestimmung nicht zerstören. Erniedrigende Eingriffe sind deshalb ebenso illegitim wie alle Versuche, mit Gewaltmitteln Menschen bessern oder glücklicher machen zu wollen.
3. Denkbare legitime Ziele von Eingriffen sind dagegen die Abwehr unmittelbar drohender Gefahren, die Verteidigung von Rechten sowie manchmal die Erhaltung und Herstellung von Schonräumen und Entlastungen.
4. Alle Legitimation von Eingriff steht in der Sozialpädagogik unter dem Vorbehalt, dass sie versuchen muss, den Eingriffsanteil ihrer Intervention nach Möglichkeit zu verkleinern und den Anteil an Angeboten und gemeinsamen Handeln zu verstärken.
5. In Situationen, die unabweisbar Eingriffe erfordern, muss ein Verfahren gefunden werde, um den Eingriff zu begrenzen. Dazu können vier Fragen dienen:
- Was ist zu tun?
- Was ist am vordringlichsten? (Notversorgung, Verhinderung von Eskalation)
- Was schafft Entlastungen?
- Was schafft Gelegenheit für gemeinsames Handeln?
Sozialpädagogische Angebote:
6. Für die Entwicklung jeweils passender Angebote müssen Rahmenangebote und Angebote in eigener Sache unterschieden werden
7. Zur Klärung sozialpädagogischer Angebote ist es sinnvoll, Angebote die Situationen ändern sollen, von Angeboten, die Verhalten und Wollen ändern sollen, zu unterscheiden.
8. Zur Klärung sozialpädagogischer Angebote ist es sinnvoll, materielle Ressourcen und immaterielle Dienstleistungen zu unterscheiden.
9. Sozialpädagogische Angebote können nach Typen unterschieden werden.
materielle Ressourcen | immaterielle Dienstleistungen | |
situationsbezogen | Gelder, Räume, Medien, Arbeitsmittel, Zufluchtsorte etc. | Kontakte, Netzwerke Informationen, Fürsprachen, Einflussnahme etc. |
personenbezogen | Dasein, ansprechbar sein, Zeit haben, versorgen etc | beraten, Fähigkeiten unterstützen, Lösungen einfädeln etc. |
Gemeinsames sozialpädagogisches Handeln:
10. Raum für gemeinsames Handeln kann entstehen, wenn die jeweiligen ,Vorschläge', was getan werden sollte, unverzerrt wahrgenommen und ohne Diskriminierung akzeptiert werden.
11. Für die Klärung der Bedingungen für passende Angebote zu gemeinsamen Handeln ist es sinnvoll, die Unklarheit oder Uneinigkeit einzugrenzen und dafür Ebenen zu unterscheiden. Bevor Vorschläge gemacht werden, werden
a. Verhaltensweisen und Zuständen beobachtet
b. Werturteile getroffen, die begründen, warum das Beobachtete ein bestimmtes Handeln erfordert
- Annahme über die Realität, Bedeutungen von Verhaltensweisen und Zuständen für die Beteiligten gemacht
Die folgenden Stichworte überschreiben jene Aspekte von Intervention, die nun genauer ausgeführt werden:
1. Intervention ist kein gradliniger Prozess
2. Intervention folgt berufsethischen Grundlagen
3. Intervention hinterlässt Spuren
4. Intervention heißt nicht, immer dort stehen zu bleiben, wo der Klient steht
5. Intervention zielt auf Trennung
6. Intervention in der Gemeinwesenarbeit
Nächstes Kapitel: Intervention ist kein gradliniger Prozess